Studio Visit: Luzia Simons konserviert Blumen für die Ewigkeit

Luzia Simons in ihrem Atelier

Box in a suitcase zu besuch in luzia Simons Atelier

Versteckt in einem Berliner Hinterhof befindet sich das Atelier von Luzia Simons. Ein großer heller Raum, die einzigen Farbtupfer sind verschiedene Blumensorten, die Luzia im Raum platziert hat. Denn mit Hilfe ihres Scanners verwandelt sie die bunten Pflanzen in überdimensionale Stilleben, deren Schönheit man sich nur schwer entziehen kann.

Welche Blumensorten wählen Sie für ihre Bilder aus und nach welchen Kriterien? Wovon erzählen sie?

Luzia Simons: Blumen habe ich nur im Studio wenn ich konkrete Arbeiten produziere. Momentan sind es Mohnblumen und Tulpen. Ihre Geschichte, ihre Bedeutung und ihre kulturellen Verwandlungen interessieren mich. Die wilde Tulpe zum Beispiel kam ursprünglich aus der Steppe Kasachstans, der Türkei ist es gelungen, sie zu kultivieren, und die Holländer haben es dann sehr gut verstanden, sie zu kommerzialisieren.

Luzia Simons in der Pinacoteca. Foto: Leonardo Crescenti

Der Serientitel meiner Bilder STOCKAGE nimmt darauf Bezug: Handel, Warenlager, Börsenaktien. Gerade die Spekulation mit Tulpen ist im Übrigen ein gutes Beispiel für den ersten Börsenkrach der Wirtschaftsgeschichte – 1637 in den Niederlanden.

In einer globalen Gleichschaltung und Ökonomisierung aller Lebensbereiche mit entsprechendem Kulturverlust, kann die Tulpe als „multikulturelles“ Objekt in besonderer Weise für ein künstlerisches Interesse an Lokalisierung und Identität stehen. Dass jede „Verpflanzung“, jeder Wechsel des Kulturkreises einen schmerzlichen Verlust an Kontinuität bedeutet, gleichzeitig aber auch eine nicht minder wesentliche Bereicherung der Identität, ist ein Thema, das ich seit langem verfolge.

Es wäre also falsch ihre Arbeiten aus rein ästhetischen Gesichtspunkten zu betrachten …

Luzia Simons: Ja. Der politische und der ästhetische Aspekt sind nicht zu trennen. Referenzen auf die Kunstgeschichte insbesondere der barocken Malerei sind bei mir so explizit, wie die auf Wirtschaft, Handel und den Transfer der Kulturen.

Luiza Simons. Pinacoteca. Foto: Leonardo Crescenti

Wie entstehen ihre Bilder?

Luzia Simons: Meine Arbeit beginnt mit dem Sehen, mit Beobachtung und Wahrnehmung geografischer, aber auch kultureller Landschaften, die meine eigene Biografie geprägt haben. Schon als Kind hat mich unsicheres Gelände fasziniert. Jeder irgendwie erreichbare Kontrast mit dem Raum, der sich dem Blick weitet. Eine Blume pflücken hieß, eine Farbe in der Hand zu halten. Kleine wilde Früchte zu probieren, Gerüche aufzunehmen, bedeutete Freiheit.

Luzia Simons: Wenn ich heute reale Blumen auf den Scanner lege, entscheide ich mich gegen jedes „natürliche“ abbilden. Vielmehr kreiere ich einen Raum, in dem sich die Blumen während des langen Scanprozesses verändern. Zeit ist ein bedeutender Faktor für Blumen. Ich arrangiere meine Kompositionen direkt auf der Glasscheibe. Das Bild ist dann schon fertig, herabgefallene Pollen inklusive. Mit der anschließenden Retusche wird lediglich beseitigt, was nicht zur Komposition gehört, also Staub und Ablagerungen vom Aufzeichnungsprozess.

Luzia Simons scannt echte Blumen. Foto: Frauke Schlieckau

Die Technik des Scanners habe ich mir zunutze gemacht, da sie im Gegensatz zum Fotoapparat und auch zum menschlichen Auge über keinen Standpunkt mehr verfügt. Der Scanner kennt weder Linse noch Fokus. Er akzeptiert kein Zentrum und keine perspektivische Fluchtlinie. Er erfasst nichts als das Nebeneinander, tastet sich voran wie ein Blinder und speichert Bildpunkt für Bildpunkt mit gleichwertiger Präzision. Alles Vordergründige ist hell und scharf, alles Tiefergehende verliert sich in ungewissem Dunkel. Genau an dieser Stelle entsteht ein spannender neuer Raum. Mit meinen „Versuchsaufbauten“ zwinge ich dem Gerät förmlich auf, sich von der flachen, aber präzisen Arbeit des Abbildens zu lösen und die erfassten Blumen so in eine neue Ebene zu überführen.

Woher nehmen Sie Ihre Inspirationen? Welche Rolle spielt Berlin für Ihre Arbeit, welche Ihre Heimat Brasilien?

Luzia Simons Berlin ist wegen seiner kulturellen Vielfalt und als Inspirationsquelle für meine Arbeit essentiell. Hier kreuzen sich unterschiedlichste kulturelle Räume, Sichtweisen und Bedeutungszuweisungen. Die Energie und die Identitäten der Stadt scheinen unerschöpflich. In Prenzlauer Berg, wo sich mein Atelier befindet, fühle ich mich sehr wohl. Hier hat die Gentrifizierung, neben all seinen Schattenseiten, doch zu einer spannenden internationalen Mischung geführt, die ich sehr schätze. Nachts geniesse ich die Ruhe und kreative Energie im Atelier. Es ist die beste Zeit, um meine Arbeiten entstehen zu lassen, ohne viel Licht, wie vormals in einer Dunkelkammer. Brasiliens Naturschätze, der Reichtum der tropischen Vegetation, der Regenwald und die Originalität seiner Natur, das treibt meine Forscherleidenschaft an, wie einst die von Alexander von Humboldt. Oft bin ich in meiner alten Heimat und im Amazonasgebiet. Mich beschäftigt der historische, anthropologische und ökonomische Austausch, dem die Pflanzen gefolgt sind.

Luzia Simons bei der Arbeit. Foto: Frauke Schlieckau

An was für einem Projekt arbeiten Sie gerade?

Luzia Simons: Aktuell arbeite ich an neuen Ideen für den Werkzyklus AMAZONAS PATH, der bereits 2015 erstmalig in Berlin gezeigt wurde. Für 2017 sind Reisen nach Brasilien geplant, auf den Spuren von Humboldt,  Vergangenheit und Gegenwart, Identität und Transfer sind die Themen die mich in diesem Zusammenhang beschäftigen.

Wie hat Ihre Biografie Ihre Kunst beeinflusst?

Luzia Simons: Ich bin in Brasilien geboren und aufgewachsen, habe in Paris studiert und bin in den 80er Jahren nach Deutschland ausgewandert. Der geografische Raum ist zeitlebens ein Thema für mich und damit auch die aktuellen Fragen der Globalisierung, der Identitätsstiftung, Verwurzelung und Heimat.

Welche Künstler inspirieren Sie und weshalb?

Luzia Simons: Die Epoche des Barocks ist es, die mich inspiriert. Dabei spielt der kulturelle geografische Radius genauso eine Rolle, wie die kunsthistorischen Errungenschaften jener Zeit, ob nun in Frankreich, den Niederlanden oder Brasilien.

Luzia Simons im Pariser Archives Nationales. Foto: Katharina Kritzler

Was ist der schönste Moment im Prozess des Kunstmachens?

Luzia Simons: Das Schönste ist, wenn eine Installation perfekt mit der Architektur und meinem Bild in einen Dialog tritt. Wie zum Beispiel im Archiv Nationales in Paris, wo noch bis Ende März meine Arbeit STOCKAGE – VANITAS RERUM gezeigt wird. Hier verbindet sich klassische Architektur mit den Arkaden, dem Garten und der mehrteiligen Arbeit in einem spannenden Verhältnis zueinander.

Was ist die größte Herausforderung bei ihrer Arbeit?

Luzia Simons: Eine Herausforderung ist es, den Punkt zu finden, an dem sich das vermeintlich „liebliche“ Sujet eines Blumenstücks in ein spannendes diskursives Medium verwandelt.

Luzia Simons im Pariser Archives Nationales. Foto: Katharina Kritzler

Was können wir von der Natur lernen?

Luzia Simons: Wir sind Teil der Natur.

Wo kaufen Sie die Blumen und was ist das für ein Blumengeschäft?

Luzia Simons: Das Blumengeschäft meines Vertrauens in Berlin heißt Brutto Gusto. Der Niederländer Geer Pouls und die Japanerin Takayuki Tomita sind Künstler, Galeristen und wahre Blumenkenner, bei denen ich immer die besten Blumen bekomme, die ich für meine Arbeit brauche.

 

 

 

 

 

 

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